Was kann aus Haags Negativer Metaphysik folgern?

Was kann aus Haags Negativer Metaphysik folgern?

Zunächst einmal nichts.[1] Aus der affirmativen Metaphysik folgert alles, Gott und die Welt, das ganze Universum. Aber die Folgerung ist falsch, wie Haag zeigt. Haags Negative Metaphysik hat keine Qualitäten, keine Fixpunkte, von denen aus sich etwas ableiten lasse (das ist die Bedeutung von „negativ“, also ohne Wertung). Man kann über diese Metaphysik keine Aussagen machen außer, dass es sie geben muss.

Lässt sie uns ratlos zurück?

Haag scheint um diese Problematik gewusst zu haben. Aufschlussreich sind eingestreute Andeutungen und Schlussätze seine Texte. Es sind keine krönenden letzten Folgerungen seiner Gedankengänge, sonder Gesten, die sich direkt an Leserinnen und Leser wenden, Wendungen, mit denen er seine strenge Systematik verlässt und, gleichsam hinter ihrem Rücken, durch eine persönliche Marginalie ergänzt. Umgänglich, wie er war, weist er einen provisorischen Ausweg aus der Kühle der Negativen Metaphysik. Vielleicht ist es das, was er mit seiner „eigentlichen Intention“[2] meint, die er nicht beim Wort nennt. Sie ließe sich ablesen aus Passagen wie:

Die „bestimmte Formulierung (von „Sein“, „Transzendenz“, „unmittelbarer Gegebenheit“ oder „Materie“, D.M.), die von der geschichtlichen Situation nicht unabhängig ist, muss je von einzelnen Menschen in der Hingabe an die vergängliche Sache und zugleich im Gedanken an ein Nichtvergängliches geleistet werden“[3]

Oder: „Das Unwiederholbare stellt sich dar als das eine Besondere, das keinem Allgemeinen subsummierbar ist, oder vielmehr als das, was entschwindet, wenn es unter Allgemeines gefasst wird.“[4]

Oder: „Das Walten einer allmächtigen Vernunft“[5]; „Menschliche Vernunft (…) kann durch die Unmöglichkeit einer Selbstkonstitution der Natur einzig die Notwendigkeit einer allmächtigen denkenden Entität als Urgrund der Dinge dartun. Das heißt aber: Metaphysik ist nur als negative Metaphysik möglich.“[6] Und: „Von den Zielen ihres (Der Gottheit, D.M.) schöpferischen Tuns hängt es ab, welche Naturgesetze die jeweils erforderlichen Mittel zur Hervorbringung  und Erhaltung stoffliche Entitäten sind“.[7]

Haag stellt zu Ende seines letzten Buches die Frage, ob in das Dasein der Menschen “ein transzendenter Sinn hineinragt oder nicht“ und folgert: „Was einem Denker auf nominalistischem Boden nicht gelingen kann, erscheint möglich: Die geistige Überwindung des modernen Nominalismus.“[8] Was bedeutet hier „Sinn“? Soll der Negativen Metaphysik mit „Sinn“ etwas Positives abgewonnen werden?

Haag schlägt einen solchen Ton an: „In der metaphysischen Frage nach dem wahren Apriori der Dinge geht es nicht – wie es scheinen könnte – um einen Schulstreit zwischen aristotelisch und kantisch orientierter Philosophie. Es geht in ihr um den wahren Sinn der Welt, um einen Sinn, der nicht aus begrenzter und relativer Erfahrung stammt, sondern unabhängig von ihr und deshalb absoluter Sinn ist.“[9] In der „nominalistischen Weltauffassung (…) geht verloren, was die Menschen zu einem sinnvollen Dasein brauchen, das Bewusstsein von der Existenz einer absoluten Wahrheit“.[10]Wie das zu seiner Negativen Theologie passt, hat er nicht ausgeführt.

Letztlich ist die Konsequenz seiner Philosophie, die gesamte philosophische und theologisch Tradition virtuell in den Embryonalzustand zurück zu versetzen und dann ihre Entwicklung danach zu befragen, wie eine „durch kritisches Denken geläuterten Metaphysik“[11] beschaffen sein könnte. Es ist der Imperativ, „den kritischen Weg einer negativen Metaphysik zu beschreiten“[12]. Haag hält an einem Element der Metaphysik fest, das dabei nicht auf der Strecke bleibt, nämlich, dass den Dingen ein Wesen eigen ist, das der technischen Verfügbarkeit enthoben ist. Von diesem Punkt ab formuliert er plausibel, aber wenig stringent. Das zitierte „Unwiederholbare“ hat einen religiösen Unterton: Der Messias kommt nur einmal. Das „Nichtvergängliche“ deutet auf die Ewigkeit als die Zeit Gottes. Eine „allmächtigen denkenden Entität als Urgrund der Dinge“ kann als Schöpfergott gelesen werden. Die Existenz Gottes ist nicht beweisbar, aber dass es ihn geben kann, ist eine mit Haag vertretbare Annahme. In Haags eingestreuten Kleinexkursen kommt die verdeckte Theologie zum Vorschein, die sein Werk durchzieht. Haag zeigt nicht auf, ob und wie sie aus seiner Negativen Metaphysik folgert. Seine theologischen Exkurse sind uneingestandene Extrapolationen, aber immerhin fühlen sich die leeren Hände weniger leer an.

Dieter Maier


[1] Karl Heinz Haag: Metaphysik als Forderung einer rationalen Weltauffassung, S. 111

[2] G. Mensching, Nachwort zu Karl Heinz Haag: Kritische Philosophie : Abhandlungen und Aufsätze. Mit einem Nachwort von Günther Mensching. Edition Text und Kritik im Richard Boorberg Verlag, 2012 

[3] Karl Heinz Haag: Kritische Philosophie :

[4] Karl Heinz Haag: Kritische Philosophie S. 107

[5] Karl Heinz Haag: Metaphysik, S. 103

[6] ebenda., S. 72

[7] ebenda. S. 111 f. Ähnlich die „allmächtige Vernunft“ (S. 115)

[8] ebenda, S. 117

[9] Nachschrift von Mike Schwarz von einer Haag-Vorlesung aus dem Wintersemester 1970/71

[10] Haag, Karl Heinz: Metaphysik, S. 115 f

[11] ebenda, S. 63

[12]ebenda, S. 113